Matthias Glasner (47) ist ein erfolgreicher Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Filme wie „Sexy Sadie“ (1996) und„Der freie Wille“ (2006), für den er auf der Berlinale 2006 mit dem Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus inszenierte er Episoden für den „Tatort“,„Schimanski“ und „Blond: Eva Blond“. Jürgen Vogel (44),der wie Glasner aus Hamburg stammt, gehört seit Sönke Worthmanns„Kleine Haie“ (1992) zu den wichtigsten Schauspielern in Deutschland und hat bereits wichtige Auszeichnungen wie den Grimme-Preis und den Silbernen Bären erhalten. Es folgten große Kinoproduktionen wie „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997),Glasners „Der freie Wille“ und „Die Welle“ (2008). Von 2009-2011 war Vogel regelmäßig in der Improvisations-Comedy„Schillerstraße“ zu sehen. Die beiden arbeiten regelmäßig zusammen und haben 1996 gemeinsam die Schwarzweiß Filmproduktion gegründet. Ihr aktueller Film „Gnade“, der seit dem 18.10.2012im Kino läuft, behandelt das Schicksal einer deutschen Auswandererfamilie in Norwegen. Leinwandreporter Thomas hat mit den beiden über den Film gesprochen.
LWR: Woran lag der besondere Reiz von Kim Aakesons Drehbuch und warum hast du trotzdem dann noch so viel geändert wie beispielsweise den eigentlich angedachten Standort Kopenhagen?
Matthias Glasner: Der Reiz an dem Drehbuch lag in der außergewöhnlichen Figurenzeichnung und der außergewöhnlichen Art dieser Menschen mit dem Unfall umzugehen. Ich wollte dann aber keine Alltagsgeschichte aus Dänemark erzählen, da ich nicht wüsste, was ich dazu erzählen soll. Da ich aber die eigentliche Geschichte gut fand, haben wir uns getroffen. So kam ich auch direkt auf die Auswanderergeschichte in Norwegen, da ich die Landschaft dort schon von früher kannte und großartig finde. Ich finde auch, dass ein Film immer zwei verschiedene Geschichten und verschiedene Ideen verträgt, die sich dann gegenseitig spiegeln. Hier geht es um eine Auswandererfamilie, die ihr Leben neu ordnen wollen und auch noch um dieses Familiendrama zum Thema Schuld.
LWR: Ihr arbeitet schon sehr lange zusammen und habt 1996 Schwarzweiß Filmproduktion gegründet. Wie kam es dazu?
Matthias Glasner: Der Name kam, weil Jürgen weiße Turnschuhe und ich schwarze Turnschuhe an hatte(lacht).
Jürgen Vogel: Und weil wir unseren ersten gemeinsamen Film in Schwarz-Weiß gedreht haben. Aber wir haben uns eigentlich bei einem anderen Film kennen gelernt, nämlich „Die Mediocren“, der 1993 gedreht wurde. Da wussten wir schnell, dass wir weiter zusammen arbeiten und zusammen produzieren wollen. Ansonsten hätten wir auch gar nicht Matthias‘ Idee zu„Sexy Sadie“ umsetzen können. Seitdem läuft das mit uns.
LWR: Die Rolle des Markus war sehr faszinierend. Er hat das Leben seiner Eltern nur durchs Handy gefilmt und du (Anm. d. Red.: Matthias Glasner) hast Markus auch als Horrorfilmelement bezeichnet. Brauchte „Gnade“ dieses Horrorelement und hätte ein fröhliches Kind nicht einen besseren Kontrast zu den Eltern geliefert?
Matthias Glasner: Es fällt mir schwer, mir in dieser Konstellation ein fröhliches Kind vorzustellen, da die Eltern ihn so stark vernachlässigen. Der Junge wehrt sich auf seine Art gegen die Vernachlässigung, indem er die beiden heimlich filmt. Er schneidet es zusammen, unterlegt es mit seiner Musik und manipuliert sie so im Prinzip. So entwickelt er für sich selbst Macht über seine Eltern. Ich hatte während dem Dreh auch noch eine Idee, über die ich vorher noch nicht gesprochen habe. Ich habe mir vorgestellt, wie der Junge um das Haus des toten Mädchens schleicht und dann Kontakt zu den Eltern aufnimmt, die gerade ihr Kind verloren haben. Langsam fängt er dann an, mit denen zusammen zu essen und sich um sie zu kümmern. Dieser Zusammenhalt von der Seite hätte mich fasziniert und wie da die Familie in ihren Grundfesten erschüttert worden wäre.
LWR: Ihr behandelt in euren Filmen immer schwere Themen wie Vergewaltigung in „Der freie Wille“ oder jetzt in „Gnade“ Schuld und Vergebung. Was bedeutet es für euch, das Publikum herauszufordern?
Jürgen Vogel: Wir wollen Erlebniskino bieten. Du gehst ins Kino und konsumierst nicht nur, sondern erlebst das Geschehene auch mit. Das funktioniert bestimmt nicht immer, ist aber trotzdem das, was wir beide gerne zeigen wollen. Das sind Geschichten mit Herz, wo Kommunikation ohne wirkliche Worte stattfinden kann. Wir wollen niemandem wie ein Oberlehrer erklären, wie er mit Schuld umzugehen hat. Da ist das Fernsehen eher das Medium. Da wollen die Leute bevorzugt etwas vorgelebt bekommen. Bei Kinofilmen möchten wir mehr die Interaktion mit sich selbst anregen. Der Zuschauer sieht den Film und ringt mit sich: Wie würde ich mit der Situation umgehen? Welche Figur kann ich am besten verstehen? Was ärgert mich? Einfach alles komplett erleben. So kommen wir auch zu den Themen, die uns selbst aufregen und berühren, oder die wir ganz anders sehen, als es bei der breiten Masse der Fall ist. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, wie das Ergebnis aussieht, wenn Matthias und ich eine Komödie drehen. Am Ende wären wir wahrscheinlich wieder bei einem Elefanten, egal was für ein Tier wir haben möchten. Wir würden wohl auch bei einer Komödie über die Abgründe der Menschen sprechen. Vielleicht ändert sich das auch noch irgendwann. Es gibt für mich selbst nichts größeres, als zu etwas eine Haltung einzunehmen – auch bei den Figuren, die ich spiele. Ich sehe mich dann als Teil eines Themas, wo jeder eigenverantwortlich seine Schlüsse draus ziehen kann.
LWR: Kannst du Niels Handlungen nachvollziehen oder würdest du dich an manchen Stellen ganz von seiner Denkweise distanzieren?
Jürgen Vogel: Für mich gibt es da keine Distanz. Ich kann jede menschliche Handlung in gewisser Weise nachvollziehen. Es gibt viele unterschiedliche Blickwinkel und ich habe eine recht große Vorstellungskraft. Wir zeigen auf unsere Art, was es da für Möglichkeiten gibt. Alles ist da möglich.
LWR: Wie geht man bei so einem psychisch intensiven Drama als Regisseur und Schauspieler mit der Arbeit um? Nimmt man da die Arbeit eher auch mal mit nach Hause, als wenn man Popcorn-Kino macht?
Matthias Glasner: Als Filmemacher nehme ich meine Arbeit abends immer mit nach Hause und denke darüber nach, was ich an dem Tag gedreht habe. Ich gucke mir jeden Tag die Muster vom Vortag an. Das ist dann noch einmal 2-3Stunden an Material. Es ist bei mir ein Nachdenken über den Film. Ich liege nicht im Bett und denke über Schuld und Gnade nach. Ich denke eher darüber nach, welche Einstellungen wir drehen und wie wir gewisse Schwächen ausmerzen können. Es ist halt meine Arbeit und gleichzeitig auch mein Hauptlebensinhalt. Man erzählt eine Geschichte und muss dafür konkrete Dinge tun – auch als Schauspieler. Da kann man es sich gar nicht erlauben, sich hinzulegen und zu philosophieren.
Jürgen Vogel: Manchmal ist das ganz komisch. Du drehst eine Komödie und die Stimmung ist absolut mies. Dann drehst du etwas sehr Ernstes und die Leute sind total entspannt. Ich habe beides schon erlebt. Komödianten sind auch häufig als traurige Personen bekannt und die Dauerbösewichter sind dafür oft die nettesten Leute. Matthias sorgt aber sowieso immer für gute Stimmung an seinem Set. Bei einer befreiten Atmosphäre lässt sich auch etwas Gutes entwickeln. Bei „Gnade“ war es auch so: Wir sind mit dem Team rüber nach Norwegen gefahren. Viele kannten sich schon und einige sind neu zu dem Team gestoßen. Ich war zum Beispiel sehr auf die Arbeit mit Birgit gespannt. Uns alle hat dann die Schönheit der Natur mitgerissen. Jeder war am Fotos schießen, wenn wir frei hatten. Wir waren alle auch außerhalb des Drehs sehr eng miteinander verbunden. Wir haben zusammen gegessen, haben vielgeredet und zusammen gefeiert. Wir arbeiten gerne mit kleineren Teams, wo jeder seine Vision von der Geschichte hat. Das verbindet einen, wenn die Leute diese harten Themen mittragen. So zerstreuen sich Selbstzweifel und man fühlt sich einfach wohl.
LWR: „Gnade“ wurde auch in mehreren Sprachen gedreht. Zielte das nur auf den Realismus ab oder wolltet ihr damit auch ein internationales Publikum einbinden?
Matthias Glasner: Das hat sich aus der Geschichte ergeben. Auswanderer in Norwegen sind halt mit mehreren Sprachen in Kontakt. Auf der Erdgasverflüssigungsinsel wird auch im wahren Leben Englisch gesprochen. Der Sender ZDF und der Verleih waren der Meinung, dass wir da nicht synchronisieren müssen. Es ist ein Teil der Wirklichkeit, den wir da zeigen wollen.
LWR: In Deutschland beschweren sich viele über die Schwierigkeiten bei der Produktion von Filmen. Wie sind da eure Erfahrungen?
Matthias Glasner: Ich sehe das anders. In keinem Land der Welt ist es leichter Filme zu machen als in Deutschland. Wir haben das einzige funktionierende Fördersystem weltweit. Wir haben sehr viele Filmhochschulen wo jeder Student sein Abschlussfilm finanziert bekommt. Bei uns erhält jeder Unterstützung und das gibt es nirgendwo anders. Dadurch ist anderweitig die Auslese viel höher als in Deutschland.
LWR: Euer Film hat jetzt auch das Prädikat „Besonders wertvoll“ bekommen. Hilft einem ein solches Prädikat?
Matthias Glasner: Die Kinos müssen auf einen solchen Film weniger Steuern bezahlen. Das ist gut für uns. Es wird ein schöner Kommentar abgedruckt und ganz allgemein freut man sich natürlich immer, wenn die Arbeit, die man geleistet hat, so honoriert wird.
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