Inhalt: Tasmanien, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die wegen Diebstahl verurteilte Irin Clare (Aisling Franciosi, „The Fall“) muss ihre Strafe als Bedienstete der britischen Armee ableisten. Dort hat sie in dem ebenfalls verurteilten Landsmann Aidan (Michael Sheasby, „Hacksaw Ridge – Die Entscheidung“) ihren Ehemann und Vater einer gemeinsamen Tochter kennen gelernt. Beide sind auf den örtlichen Offizier Hawkins (Sam Claflin, „Die Farbe des Horizonts“) angewiesen, der entscheidet, wann ihre Strafe verbüßt ist. Dieser ist sehr von Clare angetan, was er immer wieder durch falsche Versprechungen sowie mentalen und körperlichen Missbrauch zum Ausdruck bringt. Eines Nachts eskaliert die Situation, wodurch eine schwer traumatisierte Clare vor den Scherben ihrer Zukunft steht. Sie beschließt, sich an den Verantwortlichen, die vom Tatort geflohen sind, um jeden Preis zu rächen. Mit der Hilfe des Ureinwohners Billy (Baykali Ganambarr), der seinerseits durch die britische Armee seine ganze Lebensgrundlage verloren hat, bahnt sich die junge Frau ihren Weg durch den unwirtlichen und extrem gefährlichen Dschungel.
Kritik: Im Jahr 2014 gelang der Australierin Jennifer Kent mit dem Horrordrama „Der Babadook“ ein gefeiertes Erstlingswerk. Vier Jahre später folgte 2018 ihr mit Spannung erwartetes Zweitwerk. Zwischen packendem Historien-Drama und brutalem Rache-Western liefert Kent hier einen Film, den wohl kein Zuschauer so schnell vergessen wird. „The Nightingale“ entwickelt sich schnell zu einem bewusst unhandlichen, erschreckend authentischen und von der ersten Minute packenden Werk, dass eine gar nicht so weit entfernte Zeit beleuchtet, die im internationalen Kino bislang fast unerwähnt geblieben ist.
In der klug konstruierten Geschichte wirft Kent einen absolut schonungslosen Blick auf die zu dieser Zeit alltägliche Be- und Misshandlung von Frauen, Schutzbefohlenen und den australischen Ureinwohnern. Gerade die recht frühe Sequenz, in der die Soldaten Clares Familie attackieren, erreicht eine Intensität und (vornehmlich psychologische) Brutalität, die den Zuschauer an die Grenzen des Zumutbaren bringt. Gerade weil „The Nightingale“ weiter geht als die klassischen Rache-/Rape-and-Revenge-Geschichten und dabei erstaunlich geschmackssicher vorgeht, gelingt eine Gratwanderung zwischen packend und unangenehm verstörend, die man vielleicht zuletzt im Polanski-Meisterwerk „Der Pianist“ derart effektiv erlebt hat. Da auch humorvolle und aufrichtig schöne Momente ihren Platz in der Geschichte finden, die einen starken Kontrast zu den wirklich schmerzhaften Sequenzen liefern, ist der Film ein absolut außergewöhnliches Stück Kino.
Trotz all der tiefgreifenden und großartig gefilmten Inhalte sind die toll geschriebenen und gespielten Charaktere die wohl größte Stärke des Rache-Dramas. Die bislang hauptsächlich aus Serienproduktionen bekannte Aisling Franciosi absolviert als geschändete und ihrer Zukunft beraubte Frau ein unglaubliches Pensum. Wie abwechslungsreich und komplett glaubhaft sie diese ausgesprochen komplexe Figur spielt, hätte höchste Weihen verdient gehabt. Eine weitere tolle Entdeckung des Films ist Baykali Ganambarr. Der professionelle Tänzer, der hier erstmals vor der Kamera stand, agiert als zorniger, misstrauischer und dabei gutherziger Billy, dem nur noch Traditionen von seiner Familie geblieben sind, auf einem beeindruckenden Niveau. Sam Claflin zeigt als bekanntester Darsteller des Casts die vielleicht beste Leistung seiner Karriere. In der Rolle des jähzornigen, sadistischen Hawkins, der aber immer wieder menschliche Züge aufblitzen lässt, spielt Claflin eine der angsteinflößendsten Figuren der jüngeren Vergangenheit. Auch Charakterdarsteller Damon Herriman („Flesh and Bone“), der die nicht weniger skrupellose rechte Hand von Hawkins verkörpert, ist atemberaubend gut.
Auf kommerzieller Ebene stößt der Film natürlich auf Probleme: Er ist schon ein ganzes Stück zu hart, um das „klassische“ Arthaus-Publikum anzusprechen und er ist im Gegenzug zu nachdenklich und anspruchsvoll, um einfach als Rache-Thriller „genossen“ zu werden. So lassen sich wohl auch zwei Jahre Wartezeit und ein ausbleibender deutscher Kinostart erklären. Wer sich aber die Zeit für diesen schwer verdaulichen Ansatz nimmt, wird bei „The Nightingale“ mit einer (abgesehen von ein paar Mini-Klischees in der Schlussphase) brillant erzählten, toll gefilmten, sensationell gespielten und durchweg fesselnden Rache-Geschichte belohnt, die es absolut verdient hätte, mehr als ein reiner Geheimtipp zu sein.
Der Film ist seit dem 28.05.2020 digital und ab dem 25.06.2020 auf DVD, Blu-ray und im Mediabook erhältlich.
4,5 von 5 Punkten
Bild: Der Film wird in einem angemessen tristen, dabei aber atmosphärischen Look mit zumeist entsättigten Farben und vorherrschenden Braun sowie Grau-Grün-Tönen präsentiert. Schärfe und Detaildarstellung sind auf konstant ordentlichem Niveau. Ähnliches gilt für Kontraste und Schwarzwert, die bis auf Kleinigkeiten gut eingestellt sind. Ein gelegentliches Rauschen passt zum Geschehen.
4 von 5 Punkten
Ton: Der deutsche und der originale Dolby Digital 5.1-Ton fokussieren sich natürlich hauptsächlich auf eine saubere Dialogwiedergabe, die immer gewährleistet ist. Hintergrundgeräusche im Wald (z.B. galoppierende Pferde) und die Musik (einschließlich Gesang der Protagonistin) binden die äußeren Boxen gelegentlich mit ein, was zu einem unspektakulären, aber absolut zweckdienlichen Ergebnis führt.
4 von 5 Punkten
Extras: Das ausführliche Featurette „The Nightingale in Context“ (27 Minuten), ein Making of (17 Minuten) bieten zusammen mit ein paar Trailern einen schönen Mehrwert zum Film.
3,5 von 5 Punkten
Gesamt: 4 von 5 Punkten
Der Film ist ab dem 23.03.2022 im Programm von Amazon Prime Video zu sehen.
Quelle: Koch Films, LeinwandreporterTV, YouTube
The Nightingale
Originaltitel: | The Nightingale |
Regie: | Jennifer Kent |
Darsteller: | Aisling Franciosi, Michael Sheasby, Addison Christie |
Genre: | Western, Drama, Thriller |
Produktionsland/-jahr: | Australien, 2018 |
Verleih: | Koch Films |
Länge: | 130 Minuten |
FSK: | ab 18 Jahren |
Mehr Informationen findet ihr auf der Seite von Koch Films
Verfasst von Thomas.
Zuletzt geändert am 23.03.2022
Review: The Nightingale – Schrei nach Rache (DVD)
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